Ausgangssituation: Es kommt häufig vor, dass ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin nach einem Unfall, einem Arbeitsunfall oder einer schwerwiegenden Erkrankung die arbeitsvertraglich vereinbarte Leistung nicht mehr vollständig erbringen kann. Beispiele hierfür wären die Busfahrerin, die nach einem Schlaganfall nicht mehr als Bus- oder Straßenbahnfahrerin arbeiten oder der Lagerist, der aufgrund einer Erkrankung der Wirbelsäule, nicht mehr schwer heben darf. Die Beispiele für solche krankheits- oder unfallbedingten Minderleistungen sind vielfältig. In aller Regel wird es an der Bereitschaft des Arbeitgebers fehlen, dem Arbeitnehmer eine neue leidensgerechte Stelle zuzuweisen. Häufig ist der Arbeitgeber nicht bereit, seinen Geschäftsbetrieb neu zu organisieren. Häufig befürchtet der Arbeitgeber auch weitergehende krankheitsbedingte Fehlzeiten des Arbeitnehmers. In dieser Situation wird der Arbeitgeber regelmäßig eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz mit dem Verweis auf fehlende offene Stellen verweigern. Der Arbeitnehmer läuft dann irgendwann Gefahr, aus dem Leistungsbezug des Krankengeldes und des Arbeitslosengeldes herauszufallen und eventuell sogar Bürgergeld beantragen zu müssen. Er ist deshalb an einer abschließenden rechtlichen Klärung der unbefriedigenden Arbeitsplatzsituation interessiert. In den seltensten Fällen bietet der Arbeitgeber von sich aus eine brauchbare Lösung für alle Beteiligten an. Regelmäßig hat der Arbeitgeber die Hoffnung, dass der Arbeitnehmer im Krankenstand verbleibt und irgendwann entmutigt oder auf Druck der Arbeitsagentur/des Jobcenters das Arbeitsverhältnis selbst beendet. In dieser schwierigen rechtlichen Situation sollte ein Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht eingeschaltet werden. Dieser muss zunächst mit der Mandantin /dem Mandanten erörtern, wie diese sich ihre berufliche und private Zukunft vorstellen und dann arbeitsrechtliche und/oder sozialversicherungsrechtliche Lösungsansätze anbieten.
Tipp 1: Schon frühzeitig einen Fachanwalt kontaktieren und mit diesem zunächst die Kostenfrage (Anwaltsgebühren) besprechen. Mit einer bereits bestehende Rechtschutzversicherung sollte die Kostenfrage nachrangig sein. Anderenfalls gibt es ebenfalls praktikable Lösungsmöglichkeiten.
Die sozialversicherungsrechtlichen Lösungsansätze werde ich in einem weiteren Beitrag beleuchten.
In diesem Beitrag werde ich mich auf die arbeitsrechtlichen Instrumentarien beschränken. Die Stichworte heißen BEM (betriebliches Eingliederungsmanagement), leidensgerechte Beschäftigung und Wiedereingliederung. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, auf den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers jederzeit Rücksicht zu nehmen. Sobald ein Mitarbeiter länger als 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig ist, sind alle Arbeitgeber aufgrund ihrer Fürsorgepflicht zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement verpflichtet. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Arbeitnehmer als Schwerbehinderter anerkannt oder ob er einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist (sog. Gleichstellung). Auch mit dem Arbeitnehmer ohne Schwerbehindertenstatus oder ohne Gleichstellung ist ein BEM durchzuführen. Stellt der Arbeitgeber also fest, dass der Arbeitnehmer dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Arbeitsleistung zu erbringen, dann muss er auf jeden Fall präventiv mit dem Arbeitnehmer das Gespräch suchen.
Tipp 2: Die Beteiligung eines Rechtsanwalts auf Seiten des Arbeitnehmers kann nicht verhindert werden.
An diesem Verfahren sind ferner zu beteiligen:
- Betriebsrat (sofern vorhanden)
- Schwerbehindertenvertretung (sofern Schwerbehinderung vorliegt und SBV vorhanden)
- Eventuell Werks- oder Betriebsarzt
- Rehabilitationsträger
- Integrationsamt (im Falle einer Schwerbehinderung)
Tipp 3: Das BEM-Verfahren sollte nicht unterschätzt werden. Häufig lässt sich durch Umorganisation des Arbeitsplatzes, durch Bereitstellen von Arbeitsmitteln erreichen, dass die bisherige Arbeitstätigkeit auch mit der vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgeübt werden kann. Häufig ist die Versetzung des Arbeitnehmers an einen anderen Arbeitsplatz die Lösung. Gelegentlich werden in diesem Verfahrensstadium auch schon Beendigungslösungen (Aufhebungsvertrag, Abwicklungsvertrag, Kündigung mit Abfindungslösung) diskutiert. Finanzielle Unterstützungsleistungen für den Arbeitgeber durch die Rehabilitationsträger sind möglich.
Sofern es im Unternehmen einen leidensgerechten freien Arbeitsplatz gibt, dann muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen der Ausübung seines Direktionsrechts auf diesen freien Arbeitsplatz versetzen. Verweigert der Arbeitgeber Lösungsansätze, dann kommen unter Umständen nach entsprechender Fristsetzung Schadensersatzansprüche/Verzugslohnansprüche des Arbeitnehmers in Betracht. Anwalt und Mandant sollten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ausführlich erörtern, um selbst Lösungsansätze anbieten zu können.
Tipp 4: Wurde im BEM-Verfahren eine Lösung gefunden, dann folgen eine Vielzahl weiterer arbeitsrechtlicher Schritte (Ausarbeitung und Kontrolle des neuen Arbeitsvertrages) oder im Abwicklungsfall (Ausarbeitung und Kontrolle des Aufhebungsvertrages etc.). Wird im BEM-Verfahren keine Lösung gefunden, dann wird der Rechtstreit möglicherweise vor das Arbeitsgericht verlagert oder es müssen in Übereinstimmung mit den Sozialversicherungsträgern sonstige Beendigungslösungen gefunden werden.
Weitergehende Informationen zu BEM-Verfahren und leidensgerechter Arbeitsplatz
1. Was ist Beratungshilfe ?
Beratungshilfe soll die Rechtsuchenden unterstützen, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen oder den Anwalt selbst zu bezahlen. Beratungshilfe wird für den außergerichtlichen Umgang mit Sozialversicherungsträgern gewährt. Beispiele:
- Widerspruchsverfahren gegen belastende Verwaltungsakte/Bescheide der Jobcenter, Arbeitsagenturen, Krankenkassen/Pflegekassen, Rentenversicherung, Versorgungsämter, Berufsgenossenschaften usw.
- Überprüfungsverfahren, nachdem Verwaltungsakte/Bescheide bestandskräftig geworden sind, weil kein Widerspruch eingelegt wurde.
2. Warum Beratungshilfe ?
Ich treffe als Fachanwalt für Sozialrecht häufig auf folgende rechtliche Situation:
- Der Mandant/Mandantin hat bisher keinen Beratungshilfeschein beantragt und versucht, die rechtliche Situation selbst zu klären. Gelegentlich wird dann gegen einen Bescheid Widerspruch erhoben. Folgebescheide werden dagegen ohne Widerspruch hingenommen. Erst wenn der Leidensdruck zu groß ist, wird ein Anwalt aufgesucht. Das ist definitiv der falsche Weg. Sobald ein Verwaltungsakt der Behörde die eigene Rechtsposition beschneidet (z.B. das Jobcenter verweigert die Auszahlung von Bürgergeld, die Krankenkasse stellt die Krankengeldzahlung ein oder die Berufsgenossenschaft will keine Verletztenrente bezahlen etc…) dann sollte unverzüglich ein Fachanwalt für Sozialrecht kontaktiert werden.
- Der Mandant/Mandantin hat bereits Beratungshilfe beantragt und verwendet die gewährte Beratungshilfe für sinnlose Aktionen (Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren, isoliertes Vorgehen gegen medizinische Gutachten oder einfache irrelevante Behördenschreiben)
Die Beratungshilfe sollte bis auf wenige Ausnahmefälle ausschließlich für Widerspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte/Bescheide oder Überprüfungsverfahren gegen bestandskräftige Verwaltungsakte/Bescheide eingesetzt werden. Bestandskräftig ist ein Bescheid, sobald die Widerspruchsfrist von einem Monat ab Zustellung des Bescheides versäumt wurde. Dies setzt voraus, dass der Bescheid eine formgültige Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Bescheides aufweist. Ansonsten kann der Bescheid noch mit einer Frist von einem Jahr angegriffen werden.
Woran erkenne ich einen Bescheid oder Verwaltungsakt der Sozialversicherungsträger ? In der Regel wird in der Überschrift oder im Text des Schreibens die Worte „Bescheid“ oder „Verwaltungsakt“ benutzt. Sollte dies nicht der Fall sein, dann liegt trotzdem ein Bescheid vor, wenn die Behörde einen Sachverhalt regelt. Beispielsformulierungen für Regelungen in den Bescheidtexten:
- Wir stellen die Krankengeldzahlung ein
- Die Schwerbehinderteneigenschaft/ die Verletztenrente/die Erwerbsminderungsrente wird nicht gewährt
- Das Arbeitslosengeld muss zurückgezahlt werden
- Das Bürgergeld/Kosten der Unterkunft wird gekürzt
- Die Kosten für…. werden nicht übernommen
In aller Regel werden also nach einem Antrag bei der Behörde die beantragten Sozialleistungen nur teilweise oder gar nicht übernommen. Häufig anzutreffend ist auch der Fall, dass Leistungen in einem Zeitraum voll übernommen wurden und im nächsten Zeitraum nur noch mit Abzügen erbracht werden. Enthält ein Schreiben des Sozialversicherungsträgers eine Rechtsbehelfsbelehrung (" Hiergegen können Sie mit einer Frist von einem Monat Widerspruch erheben“) ist eigentlich immer von einem Verwaltungsakt/Bescheid des Sozialversicherungsträgers auszugehen.
3. Weitere Vorgehensweise
Sind Sie sich sicher, dass ein Bescheid der Behörde ergangen ist, dann sollten Sie zeitnah wie folgt vorgehen:
- Auf der Webseite des nächstgelegenen Amtsgerichts das Beratungshilfeformular mit den Erläuterungen ausdrucken. Diesen ausgefüllten Antrag zusammen mit den erforderlichen Nachweisen (Mietvertrag, Einkommens- und Ausgabesituation, aktueller Kontoauszug) bei der Beratungshilfestelle des Amtsgerichtes einreichen. Den Sachbearbeiter der Beratungshilfestelle freundlich auf die Dringlichkeit der Rechtsangelegenheit für Sie hinweisen.
- Widerspruchsfrist des anzugreifenden Bescheides beachten. Notfalls mit einfachem Schreiben zunächst einen „fristwahrend Widerspruch“ erheben und auf eine nachfolgende Widerspruchsbegründung des Anwaltes verweisen. Widerspruchschreiben nachweisbar bei der Behörde einreichen (z.B. durch Einwurf in den Briefkasten mit Zeugen, Faxschreiben, usw. Bitte beachten, dass einfache Emails regelmäßig nicht zulässig sind, Bei Einschreiben bitte Postlaufzeiten berücksichtigen).
- Nach Erhalt des Beratungshilfescheins einen Fachanwalt für Sozialrecht oder zumindest einen Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt „Sozialrecht“ im näheren örtlichen Umfeld suchen
4. Was ist Prozesskostenhilfe ?
Prozesshilfe wird für den gerichtlichen Umgang mit Sozialversicherungsträgern gewährt. Beispiele:
- Klage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid der Jobcenter, Arbeitsagenturen, Krankenkassen/Pflegekassen, Rentenversicherung, Versorgungsämter, Berufsgenossenschaften usw. Dem Widerspruchsbescheid ist immer ein Bescheid und ein Widerspruch vorausgegangen.
- Eilverfahren (neben einem Widerspruchsverfahren oder Klageverfahren)
- Prozesskostenhilfe wird vom Sozialgericht als Eingangsinstanz gewährt. Die Prozesskostenhilfe wird regelmäßig vom betreuenden Anwalt beantragt. Sie müssen mit dem Anwalt lediglich den Prozesskostenhilfeantrag ausfüllen und die erforderlichen Nachweise zu den Einnahmen und Ausgaben vorlegen. Sonst müssen Sie keine weiteren Anträge stellen.
5. Fazit
Wenn Sie Ihre Chancen in einem Verfahren gegen Sozialversicherungsträger als rechtlich selbständige Verwaltungseinheiten der mittelbaren Staatsverwaltung erhöhen wollen, dann
- kümmern Sie sich rechtzeitig um Beratungshilfeschein
- suchen sich rechtzeitig einen passenden Anwalt für Sozialrecht
- unterstützen diesen Anwalt im Kampf um Ihr Recht
Weitergehende Informationen zu Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe
Warum ich häufig Bedenken gegen Aufhebungsverträge habe ?
Der Aufhebungsvertrag ist neben der Abwicklungsvertrag und der Kündigung ein weiteres geeignetes Instrumentarium zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem missliebigen oder unproduktivem Mitarbeiter (generisches maskulinum). In welchen rechtlichen Situationen wird ein Aufhebungsvertrag zu einem arbeitsrechtlichen oder sozialversicherungsrechtlichen Stolperstein? Hier einige Beispiele für unangenehme Nebenwirkungen eines Aufhebungsvertrages:
1. Aufhebungsverträge werden regelmäßig von Rechtsanwälten der Arbeitgeber erstellt. Viele Vertragsformulierungen sind unkritisch und sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer akzeptabel. Einige Formulierungen sind jedoch eindeutig auf den Arbeitgeber (also den eigenen Mandanten) zugeschnitten und erlauben es diesen, sich von jeglicher Haftung freizuzeichnen. Solche Formulierungen finden sich häufig unter der Überschrift „Rechtliche Hinweise“. Dem Arbeitnehmer wird erklärt, dass die Personalabteilung nicht dafür verantwortlich ist, sofern er nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages Sperrzeiten der Arbeitsagentur kassiert und die Abfindung sich aufgrund der Sperren und der damit verbundenen Rechtsfolgen in Luft auflöst. Schon aus Gründen der Kampfparität (Waffengleichheit) sollte also ein Fachanwalt für Arbeitsrecht bei einem Aufhebungsvertragsangebot ins Boot geholt werden.
2. Das nächste Problem entsteht mit der eigenen Rechtsschutzversicherung. Häufig wird die Rechtsschutzversicherung bei Angebot eines Aufhebungsvertrages mangels Kündigung des Arbeitgebers einen Schadensfall verneinen. Die meisten Rechtsschutzversicherungen haben in den Allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen (ARB) entsprechende Regelungen aufgenommen. Dort heißt es regelmäßig:
"Aufhebungsvertrags-Rechtsschutz als Arbeitnehmer: Wir übernehmen im Falle eines schriftlichen Angebots Ihres Arbeitgebers zur Aufhebung Ihres Arbeitsvertrages (Aufhebungsvereinbarung) ohne Rechtsschutzfall im Sinne des §4 Abs. 1c) bis zu 1.000,– EUR Rechtsanwaltskosten. In diesem Fall gilt die arbeitgeberseitige Vorlage des Aufhebungsvertragsangebotes als Rechtsschutzfall. Eine vereinbarte Selbstbeteiligung wird in Abzug gebracht."
Das böse Erwachen kommt dann, wenn die Versicherung bei einem Aufhebungsvertrag 1.000,00 € abzüglich 250,00 € Selbstbeteiligung = 750,00 € Anwaltskosten zahlt und die Rechnung des Anwaltes im Regelfall deutlich höher ist. Diese böse Überraschung bei der Kostenübernahme lässt sich problemlos umgehen, wenn ein versierter Anwalt für Arbeitsrecht frühzeitig eingeschaltet wird. Dieser kann dann Einfluss auf das Verfahren nehmen. Dem Rechtsanwalt sollte auch die Korrespondenz mit der Rechtsschutzversicherung überlassen werden. Eine vollständige Kostenübernahme der Anwaltsgebühren durch die Rechtsschutzversicherung ist regelmäßig möglich.
3. Die sozialversicherungsrechtlichen Risiken eines Aufhebungsvertrages sind erheblich. Der Aufhebungsvertrag führt regelmäßig zur Verhängung von Sperrzeiten durch die Agentur für Arbeit. Formulierungen im Aufhebungsvertrag wie „in beiderseitigem Einvernehmen“ sind nicht korrigierbare Fehler, die man bei Antragstellung bei der Arbeitsagentur bereut. Die Freude an der Abfindungszahlung wird dann nicht lange andauern. Nach verhängter Sperrzeit ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für 12 Wochen. Ferner verkürzt sich der Arbeitslosengeldbezugszeitraum - im schlimmsten Fall um ein Viertel. Auch diese Risiken lassen sich durch Einschalten eines versierten Anwalts für Arbeitsrecht deutlich reduzieren oder sogar ausschließen.
4. Häufig werden in Aufhebungsverträgen regelungsbedürftige Inhalte (Boni, Resturlaub, Arbeitszeugnis etc.) übersehen. Nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags wird es deutlich schwieriger, ein gutes Arbeitszeugnis auszuhandeln. Formulierungen im Aufhebungsvertrag: „Der Arbeitnehmer erhält nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein wohlwollendes, qualifiziertes Arbeitszeugnis“ sind vollkommen nichtssagend. Ein Arbeitszeugnis mit der Schulnote „mangelhaft“ ist wohlwollend, wenn die Leistung des Arbeitnehmers nach Auffassung des Arbeitgebers mit „ungenügend“ zu bewerten ist. Beweisen Sie dann in einem weiteren Arbeitsgerichtsprozess den Anspruch auf eine bessere Bewertung im Zeugnis. Ein sehr schwieriges rechtliches Unterfangen. Auch eine in den Aufhebungsvertrag aufgenommene Notenstufe (z.B. „der Arbeitnehmer erhält ein gutes Arbeitszeugnis“) ist auslegungsfähig und führt häufig zu Rechtstreitigkeiten nach Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages.
5. Aufhebungsverträge werden dem Arbeitnehmer häufig in einer psychischen Drucksituation vorgelegt. Die Personalabteilungen verbinden gerne die Anhörung zu einem angeblichen oder tatsächlichen Fehlverhalten des Arbeitnehmers mit der Vorlage eines Aufhebungsvertrages (Überrumpelungssituation). Ein solcher Aufhebungsvertrag kommt dann regelmäßig durch Verstoß gegen das "Gebot des fairen Verfahrens" zustande. Dieses Gebot wird verletzt, wenn der Arbeitgeber während der Verhandlungen eine psychische Drucksituation schafft, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht mehr ermöglicht. Dem Arbeitnehmer wird in Aussicht gestellt, dass auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verzichtet wird, wenn der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin den Aufhebungsvertrag unterzeichnet. Der Aufhebungsvertrag ist in den allermeisten Fällen arbeitsrechtlich unvorteilhaft und sozialversicherungsrechtlich eine Katastrophe. Die Unterzeichnung sollte verweigert werden. Darauf folgende Drohungen des Arbeitgebers sollten ignoriert werden. Es sollte unverzüglich ein Anwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Arbeitsrecht kontaktiert werden. Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns führt zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
6. Ein Ratschlag zum Schluss: Sie sollten sich bei Beauftragung eines Rechtsanwaltes vergewissern, dass dieser nicht nur die arbeitsrechtliche Angelegenheit übernimmt und Sie dann wegen einer Sperrzeitproblematik auf Fachanwälte für Sozialrecht verweist. Eine derartige Rosinenpickerei des erstangegangenen Anwaltes wird regelmäßig dazu führen, dass der zweite Anwalt eine Übernahme des sozialrechtlichen Mandates ablehnt. Der Anwalt, welcher Sie arbeitsrechtlich vertritt, sollte auch in der Lage sein, Ihre Problemen mit der Arbeitsagentur zu lösen.
Ein Geldgeschenk an eine Bezieherin von Bürgergeld (hier für eine erforderliche Dachreparatur) darf das Jobcenter nicht generell als Einkommen berücksichtigen.
Sachverhalt: Die Klägerin befand sich im Leistungsbezug des Jobcenters und bewohnte ein in ihrem Eigentum stehendes Einfamilienhaus. Das Dach des Hauses war derart marode, dass es zu zahlreichen Wassereinbrüchen kam. Für die Dachsanierung stellte der beauftragte Handwerker eine Rechnung in Höhe von knapp 7.100,00 Euro aus. Das Geld zur Bezahlung dieser Rechnung erhielt die Klägerin von ihrer Mutter als Geschenk. Die Klägerin bezahlte mit dieser Schenkung die Rechnung des Dachdeckers in bar. Das Jobcenter erfuhr von dem neu eingedeckten Dach bei einem Ortstermin und gelangte zu dem Ergebnis, dass der bei der Klägerin - aufgrund der Schenkung - die Hilfebedürftigkeit als Leistungsvoraussetzung gefehlt habe. Die Leistungsbewilligungen des Jobcenters wurden rückwirkend aufgehoben. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Sozialgericht hat ihre Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat dagegen die Entscheidung des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Die Anrechnung der Schenkung als Einkommen sei grob unbillig. Das Jobcenter ging in die Revision zum Bundessozialgericht. Diese Revision blieb erfolglos.
Entscheidung des BSG: Die Mutter der Klägerin hatte weder eine rechtliche noch eine sittliche Verpflichtung, die Tochter bei der Dachreparatur zu unterstützen. Ferner hat die Schenkung der Mutter die wirtschaftliche Lage der leistungsberechtigten Klägerin nicht so günstig beeinflusst, dass darüber hinaus keine Leistungen nach dem SGB II mehr erforderlich waren. Der Schenkung der Mutter stand in gleicher Höhe ein Leistungsanspruch gegen das Jobcenter gegenüber. Eine Überkompensation des bestehenden Bedarfs der Kläger schied damit aus.
Mein sozialrechtliches Fazit: Es gab zunächst keine Veranlassung für das Geldgeschenk der Mutter. Die Erhaltungsaufwendungen für das Eindecken des Daches (einfachste Ausführung) hätte das Jobcenter sowieso übernehmen müssen. Es gibt genug Informationsquellen im Internet und günstige Literatur zum Thema SGB II. Notfalls einen Fachanwalt für Sozialrecht konsultieren. Sehr erstaunlich ist jedoch die Reaktion des Jobcenters. Das Jobcenter hätte sich darüber freuen sollen, keine Leistungen erbringen zu müssen. Stattdessen geht man noch in den Angriff über und versucht, mit dem Sachverhalt zusätzlich noch Leistungskürzungen zu rechtfertigen. Das war ziemlich dreist.
Weitergehende Informationen zum SGB II - Weitergehende Informationen zu Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe
Ich starte heute mit einer Reihe von aktuellen Entscheidungen der Arbeitsgerichte und Landesarbeitsgerichte zu dem Thema Arbeitszeugnisse. Hierzu gibt es einiges zu sagen: Das Arbeitszeugnis muss auf einem Dokument mit einem ordnungsgemäßen Briefkopf erstellt sein, wenn das Unternehmen im Geschäftsverkehr regelmäßig einen solchen Briefkopf verwendet. Ein ordnungsgemäßer Briefkopf enthält mindestens den Namen und die Anschrift des ausstellenden Unternehmens. Es stellt eine unzulässige Distanzierung vom Zeugnisinhalt dar, wenn das Arbeitszeugnis mit einem Verweis auf einen arbeitsgerichtlichen Vergleich unterzeichnet wurde. Sachverhalt: Arbeitgeber und Arbeitnehmerin haben sich in einem Kündigungsschutzverfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten. Das arbeitsgerichtliche Verfahren endete mit einem Vergleich. Der Arbeitgeber verpflichtete sich darin, der Klägerin ein Zeugnis zu erteilen. Die Arbeitnehmerin war berechtigt, dem Arbeitgeber einen Zeugnisentwurf zu übersenden. Von diesem Zeugnisentwurf durfte der Arbeitgeber nur aus wichtigem Grund abweichen. Der Arbeitgeber Daraufhin erteilte daraufhin ein Zeugnis, in welchem er den Zeugnisentwurf der Arbeitnehmerin verwendete und zusätzlich wörtlich schrieb: „im Auftrag des Arbeitsgerichts“. Das Zeugnis war darüber hinaus von einer externen Rechtsanwältin unterschrieben. Zusätzlich war das Arbeitszeugnis auf einem Briefpapier ohne Briefkopf verfasst. Die Klägerin konnte nachweisen, dass der Arbeitgeber für alle Schreiben immer Briefpapier mit den Unternehmensangaben verwendete. Die Klägerin antwortete auf diese Provokation mit einem Zwangsgeldantrag beim Arbeitsgericht und konnte sich vollumfänglich durchsetzen. Weiterführende Erläuterungen zum Arbeitszeugnis.
Der EuGH hat die Rechtsstellung von Grenzgängern gestärkt. Diesen stehen die gleichen Familienleistungen sowie sozialen und steuerlichen Vergünstigungen zu wie den Arbeitnehmern, die in demselben Staat wohnen und arbeiten.
Sachverhalt: Ein belgischer Arbeitnehmer wohnte in Belgien und arbeitete in Luxemburg. Als Grenzgänger unterlag er den Regelungen über das Kindergeld in Luxemburg. Er bezog das Kindergeld seit mehreren Jahren für ein aufgrund gerichtlicher Entscheidung in seinem Haushalt untergebrachtes Pflegekind. Im Jahr 2017 entzog ihm die luxemburgische Behörde, welche für die Gewährung für Kindergeld zuständig ist, die Kindergeldleistungen. Die Behörde war der Auffassung, dass das Kindergeld nur für eheliche, uneheliche oder Adoptivkinder zu zahlen sei. Die Behörde verlangte also ein direktes Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zum betroffenen Grenzgänger. Der betroffene Belgier hat gegen diese Entscheidung der Behörde geklagt.
Entscheidung: Die luxemburgische Regelung führt nach Auffassung des EuGH zu einer diskriminierenden Ungleichbehandlung des betroffenen Arbeitnehmers und verstößt somit gegen Unionsrecht. Nach der Begründung des EuGH entrichten gebietsfremde Arbeitnehmer die gleichen Steuern und Sozialabgaben wie die gebietsansässigen Erwerbstätigen. Folglich müssen Grenzgänger die Familienleistungen sowie sozialen und steuerlichen Vergünstigungen erhalten wie inländische Arbeitnehmer. Eine abweichende Vorgehensweise stelle eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar. Weiterführende Erklärungen zum Kindergeldrecht.
Die Klägerin stritt sich mit ihrer gesetzlichen Krankenversicherung vor dem Sozialgericht Darmstadt und in der Berufungsinstanz vor Landessozialgericht in Frankfurt, ob ihre Krankenkasse die Kosten für postbariatrische Wiederherstellungsoperationen in den Bereichen der Oberschenkel, der Oberarme, der Brust und der Bauchdecke übernehmen muss.
Die 47-jährige Klägerin hatte sich in der Türkei einer Schlauchmagenoperation unterzogen. Aufgrund der Operation und weiteren Maßnahmen reduzierte sie ihr Gewicht von 118 Kg auf 75 Kg. Nach der Gewichtsreduktion litt sie jedoch trotz täglicher Pflege unter dermatologischen Problemen im Bereich der Hautfalten und der Fettschürze. Im Jahr 2018 ließ die Klägerin sodann im Krankenhaus eine abdominale Straffung der Haut durchführen. Sie bezahlte für diese Operation 5.000,00 Euro. Die Klägerin begehrte die Erstattung dieser OP-Kosten von ihrer Krankenkasse.
Die Rechtsgrundlage für die Gewährung einer solchen Operation zur Gewebereduktion ist § 27 SGB V. Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, um ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Unter Krankheit ist nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit komme dabei ein Krankheitswert zu. Eine Krankheit liege nur dann vor, wenn die Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder wenn bei ihr die anatomische Abweichung entstellend wirke.
Die Hautveränderungen der Klägerin waren nach Auffassung des LSG nicht als derart schwerwiegend und als nicht therapierbar zu bewerten. Eine Leistungspflicht ergab sich nach Auffassung des Gerichtes auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Entstellung. Im Fall der Klägerin sei die Erheblichkeitsschwelle, bei der von einer Entstellung gesprochen werden könne, bei weitem noch nicht erreicht. So könne die Klägerin die betreffenden Körperstellen durch einfachste Mittel, z.B. durch Tragen angepasster Kleidung, verdecken.
Meine Einschätzung zu diesem Urteil: Über den Begriff "Entstellung" kann man sicher trefflich streiten. In der heutigen Zeit gehören Schönheitsoperationen schon fast zum Alltag in Deutschland. Hier der Klägerin den Ratschlag zu erteilen, sich passende Kleidung zuzulegen, erscheint mir unpassend. Man kann aber auch den Eindruck bekommen, dass vor Gericht die Frage nach der entstellenden Wirkung der Hautlappen nicht ausreichend thematisiert wurde (mangelnde Substantiierung). In der Revision vor dem BSG wird der Rechtsstreit nach meiner Auffassung nicht zu gewinnen sein. Ein Überprüfungsantrag mit weiteren ärztlichen Attesten könnte hier zielführend sein. Weiterführende Erklärungen zum Krankenversicherungsrecht (SGB V).
Rechtsanwalt Christian Sehn - Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht
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